Sonntag, 6. November 2016

Die Fenster des Pilgers



Das Pilgern auf dem Jakobsweg, ist schon etwas besonderes. Jeder Tag schreibt seine eigene Geschichte und vieles was man bisher in seinem Leben erlebt hat, Fragen die einen bewegt haben, erscheinen in einem anderen Licht, Dunkelheit wird erleuchtet. So war auch dieser Tag, der uns zu einem Haus des ZEN führte.

Wer kann sie lesen, die Sprache der Steine?

Es ist schwieriger als man denkt in der Schweiz eine halbwegs brauchbare und bezahlbare Pilgerunterkunft zu finden. Man stößt bei der Suche auf wirklich interessante Leute. So fand ich auch eine Zengemeinschaft die Unterkünfte für Pilgerer anbot. Telefonisch waren sie nicht zu erreichen (man sollte nicht soviel meditieren :-) aber per Mail hatte ich Glück. Nun war ich darauf gespannt was mich dort erwartete. Meine Bitte auch eine Runde mit meditieren zu dürfen wurde ausdrücklich bestätigt. Schön - also würde wir zusammen meditieren.

Wie sich herausstellte lag das Haus der Zenmönche genau am Pilgerweg - ein kleines Holzhaus, wie so oft in der Schweiz, das sehr einladend aussah. Ideal. Müde und ausgehungert kamen wir an. Es lagen ca. 20 km Wanderweg hinter uns. Das ist nicht übermäßig viel, aber es reichte uns trotzem.
Der Hausherr und seine Freundin begrüßten uns herzlich mit einer Umarmung. Das Ankommen nach sovielen Schritten ist immer ein wunderbarer Moment. Man legt den Rucksack ab und ist erst einmal unglaublich erleichtert. Zu userer Überraschung gab es gleich noch eine sehr erfreuliche Nachricht. Im Ofen war ein Pizza und sie roch herrlich.

Frisch auf dem Tisch sah sie wirklich verführerisch aus. Ich muß zugeben, daß ich im jenem Moment sicher die Hälfte der Pizza allein verdrückt hätte. Aber es mußte für 6 hungrige Mägen reichen. Ich versuchte, jeden Bissen zu geniesen und als schließlich meine Portion vertilgt war,  stellte ich zufrieden fest, daß auch der 6. Teil vollkommen genügt, um meinen Hunger zu besänftigen.

Ein kleiner aber schöner Wasserfall bei Einsiedeln
Wir erzählten von unserem Weg und vom Pilgern und er von seinem Haus und seinem Zenweg. Offenbar war es ihm sehr ernst mit dem Zen, denn er hat wohl 10 Jahre in einem Zenkloster in Japan verbracht und ist jetzt erst seit ca. 1 Jahr wieder in der Schweiz. Ein Jahr ist er in Japan die alten Wege der Mönche entlanggepilgert. Vermutlich auch ein paar tausend Kilometer! Das sollte reichen, um den Geist deutlich freier zu machen, als wir es können, die in den ausgetretenen Wegen unser Zivilisation laufen.

Das Haus atmete von oben bis unten den Geist des ZEN. In jedem Raum war nicht mehr als man unbedingt benötigte. In unserem Schlafraum stand ein Bett und und am Boden lag ein Futon, auf dem ich schlief. Auch er der Hausherr strahlte eine Ruhe und Freundlichkeit aus, die man ehr selten findet. So fühlten wir uns willkommen und wirklich angenehm überrascht.

Wir konnten sogar noch unsere Wäsche waschen und im Trockener trocknen lassen. Super! Ein frisches T-Shirt zum Laufen ist schon sehr angenehm. 

Der Zen Mönch lud uns wie versprochen zur Abendmeditation ein. Im Hof gab es U-Betonelemente in der Höhe eines flachen Tisches. Sie waren um eine große Feuerschale aufgestellt. Dort stapelte der Hausherr einen ordentliche Holzstoß auf und nach einigen Versuchen, entfachte er ein gemütliches Feuer. Der anfängliche Rauch wich gemütlich, wärmenden Flamen. Wir legten Futons auf die Us. Auf ihnen saß man dann wirklich sehr bequem. Die Meditationsanweisung war sehr simpel. Setzt euch auf das Futon schweigt und seht ins Feuer. Auch die schwangere Freundin des Mönchs meditierte mit. Es war wirklich eine sehr schöne Stimmung. Die Sonne ging gerade unter und färbte den Himmel eindrucksvoll. Das Feuer knisterte, strahlte seine angenehme Wärme in die Runde. Wir schwiegen und ließen die Flamen auf uns wirken. So konnte man Ruhe und Einkehr finden, aber auch die eigene Unruhe, den Tanz der Gedanken spüren.

Auf dem Hof stand eine Holzhütte. Dort hinein war der Mönch verschwunden. Nach einiger Zeit erönte ein Gong. Seine Freundin stand auf und ging in die Hütte. Man hörte leise Worte, die man nicht verstand. Worüber wohl da gesprochen wurde? Warum diese Hütte? Ich sollte es gleich erfahren.

Nach einigen Minuten, verließ sie das Haus und setzte sich wieder auf ihr Futon. Schon bald erklang wieder der Gong und rief mich. Ich stand auf und lief gemächlich zu Hütte. Da saß er, der Mönch, erhöht auf einem Podest und bat mich freundlich Platz zu nehmen. Er hatte eine Mönchskutte mit einer Kaputze an. Der Stil war unverkennbar japanisch, so wie man es manchmal in Samureifilme sieht. Die ganze Szene wirkte auf mich wie ein Theaterstück. Da war eine Bühne, ein Kostüm und ein Darsteller, der mich freundlich anlächelte. Welches Stück wurde gespielt? 

Kühles Wasser für die müden Füße des Pilgers

Ich ging zu meinem Stuhl, setzte mich und schaute auf die Bühne. Dort saß der Mönch mit mit seiner eindrucksvollen Mütze. Weniger respektvolle Personen würden sagen, es war ein wenig wie Fasching. Freundlich begrüßte mich der Mönch nochmals in seinem Haus und dann ging es um das Pilgern.

Er meinte,  Pilgern bedeute sich auf den Weg zu machen sein Haus zu verlassen. Dann stellte er eine interessante Frage: "Wieviel Fenster hat das Haus das Haus des Pilgers?" Wieviel Fenster, dachte ich, da will er mich ein wenig in den Wald führen, wie man das im ZEN halt so macht.  Und ich antwortete: "Das hinge ganz vom Geist des Pilgeres ab."

Aber er ging nicht auf meine Antwort ein, sondern schlug mir vor, die Antwort per Mail oder bei einem erneuten Besuch in seinem Haus zu diskutieren. Ja, und schon war meine Audience beendet. Ich durfte, das Holzhaus verlassen.

"Wieviele Fenster hat das Haus des Pilger?" Diese Frage erinnerte mich sofort an meine erste Begegnung mit ZEN 1985. Ich laß damals das Buch "Gödel, Escher, Bach" von Doglas R. Hofstadter.
Hier der Link zu Google Books (wer den ganzen Text lesen will):

https://books.google.de/books?hl=de&id=4tJGrzR7bEAC&dq=g%C3%B6del+escher+bach&q=Fahne#v=snippet&q=Fahne&f=false

Hofstadter schreibt:

Zwei Möche stritten sich wegen einer Fahne. Der eine sagte: "Die Fahne bewegt sich".  Der andere sagte: "Der Wind bewegt sich". Der sechste Patriarch, Zeno, kam gerade des Wegs. Er sagt ihnen: "Nicht der Wind, nicht die Fahne, der Geist bewegt sich."

Dieser Text hat mich damals schwer beeindruckt. Es war eine völlig neue Perspektive des Denkens für mich und der Beginn einer langen Reise. Ich habe seitdem einige Bücher über ZEN gelesen, viele Stunden gesessen und dabei versucht die Fahne in meinem Geist zu finden. Aber habe ich sie gefunden?

Und dann nach sovielen Jahren sitze ich einem echten ZEN-Mönch gegenüber, der von mir wissen möchte, wieviele Fenster das Haus des Pilgers hat!!! Die Wege des Herrn folgen offenbar einem geheimen Plan.

Wer neu ist im ZEN sollte wissen, daß ZEN-Mönche nicht viel von Worten halten. Sie glauben, daß sie uns ehr verwirren, als uns sehend zu machen. Deshalb haben sie eine Kunst entwickelt die Macht der Wörter durch Wörter zu zerstören. Sie nennen dies Koan. Denn nur NICHT-Worte kennen die Wahrheit. 

Wer schon länger nach der Fahne in seinem Geist gesucht (und noch nicht gefunden hat), wird wissen, was ich meine. Es ist schon eigenartig, daß es Fragen gibt, deren Sinn man erst nach vielen Jahren versteht, obwohl man nicht mal sicher die Antwort weiß.

Für mich war es eine interessante Begegnung, mit dem ZEN, mit mir selbst und mit einem, der den Weg des ZEN ganz und gar gefolgt ist. Inzwischen glaube ich, daß es wichtiger ist, sich auf den Weg gemacht zu haben als die Antwort zu finden.
Die Fenster des Pilgers

Aus meiner Sicht ist die Antwort eigentlich ganz einfach.  Sie liegt im Lächeln des Budda. So wie alle Fragen dort ihre Antwort finden. Man muß nur versuchen dieses wundervolle Lächeln auf sein Gesicht zu zaubern, es in seinen Geist einzulassen. Es ist nicht einfach. Aber es ist einfacher, als man denkt.
Aber wer weiß, die Wege des Zen sind verschlungen. Und als Zen Laie sieht man vielleicht das wesentliche nicht.

Was mich aber immer wieder verwundert hat, war, daß einerseits die Zenmeister sehr geschwätzig sind, Bücher schreiben, überall in der Welt Seminare geben, aber andererseits betonen sie ALLE, wie untauglich Worte als Weg zur Erkenntnis sind. 

Wenn man aber die Zen-Rätsel, Zen-Rätsel sein läßt und als einfacher Pilger die Sache betrachtet, muß ich wirklich sagen, daß der Besuch beim Zen-Möch etwas besonderes war und daß wir die Gastfreundschaft, die wir dort fanden, in guter Erinnerung behalten werden. Einfach eine echte Bereicherung!

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